Quelle: Focus, 21.10.2019 
 
Weniger Nebenwirken, höhere Effizienz

Besser als CRISPR: Neues Werkzeug kann Erbgut präzise verändern

Seit Entwicklung der Genschere CRISPR/Cas9 können Forscher Erbgut an definierten Stellen verändern. Allerdings ist die Methode nicht absolut präzise und kann unerwünschte Wirkungen entfalten. Nun stellen Wissenschaftler ein verbessertes Verfahren zur Erbgut-Manipulation vor.

Mit einem neuartigen Verfahren lässt sich Erbgut noch gezielter verändern als bisher schon. Die auf der Genschere CRISPR/Cas9 aufbauende Methode ermöglicht es, einzelne Bausteine des Erbgut-Moleküls DNA auszutauschen und kleine Abschnitte zu entfernen oder hinzuzufügen, berichten US-Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“.

Theoretisch ließen sich so fast 90 Prozent der etwa 75.000 zu Krankheiten führenden genetischen Veränderungen korrigieren. In Zellversuchen zeigten die Forscher dies unter anderem für die Sichelzell-Anämie, eine Erkrankung der roten Blutkörperchen, und für das Tay-Sachs-Syndrom, eine unheilbare und tödliche Fettstoffwechselstörung.

Die Methode erweitere die Möglichkeiten der Genom-Editierung erheblich, urteilen Fachkollegen aus Deutschland. Allerdings seien weitere Optimierungen nötig, bevor eine Anwendung am Menschen in Betracht gezogen werden könne.

„Wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Genom-Editierung“

„Als Grundlagenforscher bin ich vor allem von der intellektuellen Brillanz, mit der die Technologie entwickelt wurde, sehr beeindruckt. Basierend auf dem CRISPR/Cas-System wurden hier mehrere unterschiedliche Arten der DNA-Veränderung auf eine sehr clevere Weise kombiniert, um gezielte Mutationen ins Genom einzubringen“, sagt Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie.

 

„Selbstverständlich muss sich noch zeigen, wie breit die Technologie angewandt werden kann, aber sie ist sicherlich ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der bisherigen Techniken zur Genom-Editierung.“

Fehlerhafte Gene können stumm geschaltet werden

Mit der erst vor einigen Jahren vorgestellten Genschere CRISPR/Cas9 haben Wissenschaftler ein Labor-Werkzeug, mit dem sich Erbgut auf recht einfache Weise präzise verändern lässt. Die Genschere steuert einen definierten Bereich im Erbgut an und zerschneidet mit Hilfe des Enzyms Cas9 an dieser Stelle den DNA-Doppelstrang. Bei der Reparatur wird die genetische Information an der Schnittstelle verändert – fehlerhafte Gene können so zum Beispiel stumm geschaltet werden.

Es ist auch möglich, einzelne Bausteine der DNA auszutauschen und neue Erbgut-Information an der Schnittstelle einzufügen. Allerdings ist die Effizienz des Verfahrens nicht sehr hoch und es kann auch außerhalb der angesteuerten Bereiche zu Doppelstrangbrüchen und damit zu unerwünschten Veränderungen der DNA kommen, zu sogenannten Off-Target-Effekten.

 

Werkzeuge zur Genom-Editierung, die ohne einen problematischen Doppelstrangbruch auskommen, sind sogenannte Basen-Editoren. Mit diesen lassen sich aber nur bestimmte genetische Veränderungen erzielen. Abschnitte mit mehreren Buchstaben – Basen – des genetischen Alphabets können zum Beispiel nicht entfernt oder hinzugefügt werden.

„Gezielte Korrektur von Fehlern im Erbgut ist Schlüssel zur Therapie von Erbkrankheiten“

Bei der neu vorgestellten Methode des Teams um Andrew Anzalone von der Harvard University in Cambridge (USA) wird der DNA-Doppelstrang ebenfalls nicht durchgeschnitten, sondern nur einer der beiden Stränge. Neue genetische Informationen werden dann nicht in Form von DNA, sondern in Form von RNA in die Zellen geliefert.

Dieses verwandte Erbgut-Molekül wird vor Ort von einem ebenfalls mitgeliefertem Enzym in DNA umgeschrieben und in den durchschnitten DNA-Strang eingefügt. Die Forscher nennen ihr Verfahren „Prime Editing“, kurz PE. In Versuchen an menschlichen Zellen zeigten sie, dass sich damit einzelne Basen austauschen lassen und kleinere Abschnitte entfernt oder hinzugefügt werden können.

„Die neue Methode ermöglicht präzise Änderungen des Erbguts mit hoher Effizienz, von denen viele bisher so nicht möglich waren“, kommentiert Jens Boch vom Institut für Pflanzengenetik der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover die Studie. „Die gezielte Korrektur von Fehlern im Erbgut ist der Schlüssel zur Therapie von Erbkrankheiten beim Menschen.“

Weniger unerwünschte Nebenwirken und höhere Effizienz als bei CRISPR

Die Forscher korrigierten etwa die Mutation in dem Gen HBB (Hämoglobin ß), die der Sichelzellanämie zugrunde liegt. Auch die genetische Veränderung, die zum Tay-Sachs-Syndrom führt, konnten sie beheben. Dabei ist ein kleiner DNA-Abschnitt in ein Gen eingefügt. Bei den Manipulationen traten weniger unerwünschte Nebenwirkungen auf als bei der Genschere CRISPR/Cas9, auch die Effizienz war höher, berichten die Wissenschaftler.

„So wie die bereits bekannte CRISPR/Cas9-Technologie ist auch das Prime Editing nicht frei von Risiken – das heißt, auch sie produziert unerwünschte Mutationen als Nebenprodukte der Erbgut-Editierung. Dies schließt auch Mutationen ein, die derzeit mit gängigen Verfahren nur schwer messbar sind, wie zum Beispiel größere Umlagerungen von Chromosomen“, schränkt Jan Korbel vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg ein. „Derartige Nebenprodukte sollten in Zukunft ausgeschlossen werden können, bevor die Technologie sicher in der Medizin angewendet werden kann. Soweit sind wir derzeit aber noch nicht.“

Nach Ansicht von Fachkollegen lässt sich die Technik prinzipiell auch anwenden, um das Erbgut von Pflanzen zu verändern und etwa Sorten zu entwickeln, die gegen bestimmte Krankheiten widerstandsfähig sind oder andere wünschenswerte Eigenschaften aufweisen.

„Gerade für Pflanzen scheint die Technologie besonders interessant zu sein. Wir arbeiten seit langem daran, genau geplante Veränderungen ins Genom einzubringen“, sagt etwa Puchta. „Dies ist im Gegensatz zum einfachen Ausschalten von Genen immer noch sehr ineffizient. Die Technik könnte also tatsächlich helfen, leichter krankheitsresistente Pflanzen oder glutenfreie Pflanzenprodukte zu erhalten. Das muss aber selbstverständlich erst getestet werden.“

Besser als CRISPR: Neues Werkzeug kann Erbgut präzise verändern