Die Children’s Tumor Foundation hat in diesem Jahr zur internationalen Konferenz in Philadelphia eingeladen. Dank der Unterstützung durch die Nothing is Forever e.V. konnte ich vor Ort teilnehmen und meine aktuellen Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Identifikation von Biomarkern für atypische Neurofibrome vorstellen und diskutieren, sowie wertvolle Kontakte knüpfen. Zum anderen bat die Konferenz die Gelegenheit, die neuesten Fortschritte der Grundlagenforschung sowie klinischer Studien auf dem Gebiet der Neurofibromatosen und Schwannomatosen unmittelbar von den beteiligten Wissenschaftlern und Ärzten zu erfahren.

Hier möchte ich in wenigen Sätzen mein eigenes Projekt vorstellen und anschließend einen Überblick über besonders interessante Themen der Konferenz geben.

Mehr als jeder zweite NF1 Patient entwickelt Neurofibrome – viele Patienten entwickeln sogar eine sehr hohe Tumorlast. Während Neurofibrome zunächst benigne Tumoren sind, ist mittlerweile bekannt, dass sie sich zu sogenannten “atypischen Neurofibromen” oder “ANNUBPs” (atypical neurofibromatous lesions of unknown biological potential) entwickeln können. Diese atypischen Neurofibrome wiederum können zu hochmalignen MPNST fortschreiten. Aus diesem Grund ist es von größter Bedeutung, die prämalignen atypischen Neurofibrome (ANF) sicher identifizieren zu können. Leider gibt es jedoch bis heute keine eindeutigen Biomarker für ANF. Aus diesem Grund untersuchen wir, ob die Analyse von epigenetischen Profilen – Veränderungen der Oberfläche von DNA – als Biomarker verwendet werden könnte. Diese Methode ist bereits für zahlreiche Hirntumoren und auch für einige periphere Nervenscheidentumoren etabliert, wurde bislang jedoch noch nicht für ANF untersucht. Mit einer vergleichsweise großen Kohorte von 34 ANF Proben können wir in präliminären Untersuchungen tatsächlich sehen, dass die Methode vielversprechend ist und sich ANF von anderen Nervenscheidentumoren abgrenzen lassen. Zudem scheint die Methode Tumoren identifizieren zu können, die laut histologischer Diagnose unter- oder überdiagnostiziert worden sind. Unser Projekt stieß in der NF Community auf großes Interesse und tatsächlich wurde mein Poster durch einen geteilten 1. Preis in der Kategorie “Basic Science” ausgezeichnet. Zudem zeichnen sich einige Kooperationen ab, die wesentlich dazu beitragen können, unsere Kohorte zu vergrößern und unsere Ergebnisse weiter zu festigen.

Insgesamt lag auf der Konferenz ein vergleichsweise hoher Fokus auf der Erforschung und Behandlung kutaner Neurofibrome. Diese Tumoren haben nur eine geringe Tendenz zu entarten und sind darum in der Vergangenheit leider als weniger dringlich behandelt worden. Allerdings tragen gerade diese Tumoren bei einer Vielzahl der Patienten zu besonders hohem Leidensdruck bei; aufgrund der oft sehr hohen Tumorlast, die zu kosmetischen, funktionalen und psychischen Beeinträchtigungen führt sowie teils sehr starken Juckreizes sowie Schmerzen.

Guy Webster berichtete über die Ergebnisse einer klinischen Studie zur Verträglichkeit und Wirksamkeit des topisch applizierten MEK Inhibitors NFX-179 in Form eines Gels zur Behandlung kutaner Neurofibrome. Von 48 inkludierten Patienten konnten 47 die Studie beenden, 1 Patient schied aufgrund einer Corona Infektion aus. Das Gel wurde durchgehend gut vertragen, insbesondere kam es zu keinen akneiformen Ausschlägen wie häufig durch oral eingenommene MEK Inhibitoren. Es wurden zwei verschieden konzentrierte Gels (0.5% and 0.15%) sowie ein Placebo Gel verglichen. Primärer Endpunkt der Studie war zunächst ein Ansprechen auf molekularer Ebene: NF1 Mutationen führen zu einer Überaktivierung des Ras/Raf/MEK/ERK Signalwegs mit Akkumulation des p-ERK Proteins das wiederum das Wachstum kutaner Neurofibrome steigert. 28-tägige Behandlung kutaner Neurofibrome mit dem  NFX-179 Gel führte zu einer dosisabhängigen Suppression von p-ERK. Explorativ wurde zudem als sekundärer Endpunkt die Größenreduktion der Tumoren untersucht. Erfreulicherweise zeigte sich schon nach der kurzen Behandlungsdauer von 28 Tagen eine mittlere Größenreduktion von 17% in der Gruppe, die das 0.5% NFX-179 Gel erhielt. Diese Ergebnisse erlauben nun den Übergang in eine Phase 2b Studie, um den Effekt einer länger andauernden Therapie zu überprüfen.

Passend zu diesem Thema zeigte Fanny Coulpier auf ihrem Poster Ergebnisse aus NF1 Knockout Mausmodellen zur topischen Applikation eines anderen MEK Inhibitors (Binimetinib) zur Prävention und Behandlung kutaner Neurofibrome. In ihren Experimenten konnte topische Binimetinib Behandlung die Entstehung von kutanen Neurofibromen verhindern, jedoch nicht bestehende reife Tumoren in ihrer Größe reduzieren.

Laura Fertitta aus Frankreich stellte einen neuen cNF Skinindex zur Erfassung der Lebensqualität von Menschen mit subkutanen Neurofibromen vor, der eine deutliche Korrelation zwischen Anzahl der Läsionen und der Lebensqualität zeigt. Debarati Bhanja vom Penn State Medical College zeigte passend dazu Daten, dass die 10-Jahres Inzidenz von psychischen Erkrankungen bei pädiatrischen Patienten mit NF1 höher ist als in der gesunden Vergleichsgruppe. In der NF1 Gruppe waren Affektstörungen wie Depression und Bipolare Störung sowie Anpassungs- und Angststörungen und ADHD signifikant höher. Aus diesem Grund sind frühe Erkennung und Behandlung von psychischen Erkrankungen gerade in dieser Patientengruppe von großer Bedeutung und kann die soziale und emotionale Entwicklung positiv beeinflussen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz stellten Berichte über klinische Studien zu neuen Behandlungsstrategien dar. Prof. Michael Fisher stellte die Vielzahl der klinischen Studien für die Behandlung von Patienten mit Neurofibromatosen vor, die aktuell in Planung sind, Patienten rekrutieren oder kürzlich beendet und ausgewertet wurden. Darunter sind Protokolle für die Behandlung von Vestibulären Schwannomen (Crizotinib, Losartan), Low grade Gliomen (Poly ICLC), Plexiformen Neurofibromen (Cabozantinib, Binimetinib, Cabozantinib + Selumetinib), MPNST (Selumetinib + Serolimus, Nivolumab + Ipilimumab) sowie für ADHD bei NF1 Patienten (Guanfacine).

Besonders interessant waren für mich die Ergebnisse zu Cabozantinib – diese Ergebnisse wurden von Amy Armstrong der Washington University im Detail vorgestellt. Cabozantinib ist ein Multi-Rezeptor Tyrosinkinase Inhibitor und hat in einer Phase 2 Studie bei erwachsenen Patienten mit Plexiformen Neurofibromen, in 42% ein Ansprechen bewirkt. Nun wurden die ersten Ergebnisse der Therapie von pädiatrischen Patienten vorgestellt. Von 21 inkludierten Patienten erreichten 2 eine partielle Reduktion der Tumorgröße. Leider wurden 12 Patienten nach 12 Zyklen Therapie von der Studie ausgeschlossen, da sie zu diesem Zeitpunkt kein partielles Ansprechen erreicht hatten. Allerdings ist bei dieser Studie besonders zu beachten, dass eine große Anzahl der Neurofibrome zum Zeitpunkt des Studienbeginns progredientes Wachstum aufwies. Die 12 ausgeschlossenen Patienten wiesen nach 12 Zyklen ein Sistieren des zuvor progredienten Tumorwachstums auf, was ebenfalls ein guter Behandlungserfolg ist. Aufgrund des in dieser Hinsicht nicht optimalen Studiendesigns konnten diese Patienten aber leider nicht weiter behandelt werden. Sicherlich werden künftige Studien zu diesem Medikament das Potential von Cabozantinib, das Wachstum progredienter Neurofibrome zu stoppen besser berücksichtigen.

Besonders erfreulich war auch die 4-Jahres Evaluation der Langzeiteffekte der Behandlung von pädiatrischen Patienten mit NF1 und inoperablen Plexiformen Neurofibromen im Rahmen des SPRINT Protokolls. Diese Ergebnisse wurden von Pam Wolters des NCI vorgestellt. Die Behandlung von 33 Patienten mit dem MEK Inhibitor Selumetininb zeigte auch nach 4 Jahren eine signifikante Reduktion der Schmerzsymptomatik – sowohl im subjektiven Empfinden der behandelten Kinder als auch ihrer Eltern. Auch Hautempfindlichkeit und Juckreiz hatten sich verbessert. Partieller Response wurde als ≥20% Reduktion der Tumorgröße definiert. 70% der Patienten, die einen Rückgang der tumorrelatierten Schmerzen berichteten zeigten auch eine partielle Response, jedoch war die Korrelation zwischen den beiden Parametern gering. Die geringe Korrelation lässt sich am ehesten darauf zurückführen, dass Schmerzen gerade durch Kinder teilweise schwierig einzuschätzen sind, und möglicherweise durch andere Faktoren beeinflusst werden. Zusammenfassend zeigt die Selumetinib Behandlung also auch nach 4 Jahren für behandelte Kinder deutliche Vorteile bezüglich Tumorvolumen und relatierter Symptomatik sowie Lebensqualität.

Scott Plotkin vom Massachusetts General Hospital berichtete über erste Ergebnisse aus einem sogenannten Basket Trial (ein Wirkstoff wird an mehreren Erkrankungen getestet) bezüglich der Therapie mit Brigatinib für NF2 Patienten mit progredienten Tumoren. Inkludiert wurden NF2 Patienten ab einem Alter von 12 Jahren mit nicht-vestibulären Schwannomen (NVS), Vestibulären Schwannomen (VS), Meningeomen oder Ependymomen. Brigatinib ist ein ALK Inhibitor, der mehrere Tyrosinkinasen hemmt. Insgesamt wurden 20 Patienten behandelt von denen 7 pädiatrisch waren. Nach Entitäten geordnet war die Ansprechrate 28% für Meningeome, 26% für NVS, 4% für VS, und 0% für Ependymome. Die jährliche Wachstumsrate der Tumoren wurde in allen Entitäten außer Ependymomen durch die Therapie reduziert. Brigatinib wurde insgesamt gut vertragen. Zusammenfassend sprachen also Meningeome, VS und NVS auf die Brigatinib Therapie an, sodass die Stufe 2 der Studie begonnen wird und weitere 20 Patienten der 2 vielversprechendsten Gruppen (Meningeome und NVS) behandelt.

Abschließend möchte ich 3 Vorträge aus der Grundlagenforschung zusammenfassen, die ich besonders interessant fand:  

Nipunika Somatilada präsentierte präklinische Daten aus einem Mausmodell für MPNST. Das Tumormikromilieu von MPNST sei typischerweise arm an T-Zell vermittelter Inflammation. Aus diesem Grund sprechen MPNST nur schlecht auf Immuntherapie durch Immun Checkpoint Blockade an. Durch Behandlung mit dem Protein “STING” (stimulator of interferon genes) konnte sie in den Maustumoren eine proinflammatorische Reaktion hervorrufen und daraufhin durch Immun Checkpoint Blockade mittels anti-PD-1 oder anti-PD-L1 Antikörpern die Apoptoserate in den Tumoren signifikant erhöhen. Diese Ergebnisse könnten Grundlage für neue Therapieansätze in hochmalignen MPNST bilden.

Ein weiterer besonders spannender Vortrag wurde von David Gutmann über die Rolle von Immunzellen auf die Entwicklung von Optikusgliomen (OPG) bei NF1 Patienten gehalten. Er konnte zeigen, dass die Tumorzellen T-Cellen rekrutieren, die wiederum die Mikroglia durch Produktion des Chemokins Ccl4 (“Midkine”) stimulieren, sodass die Mikroglia Ccl5 ausschüttet, welches das Tumorwachstum aufrechterhält. Midkine scheint also eine zentrale Rolle im OPG Wachstum zu spielen. Im nächsten Schritt wurde untersucht, ob Keimbahn-NF1 Mutationen auf neuronaler Ebene einen Einfluss auf das Tumorwachstum von NF1 Patienten hat. In einem NF1 defizienten Mausmodell konnte die Gruppe zeigen, dass zentrale und periphere Nerven mit NF1 Mutationen übermäßig erregbar sind und vermehrt aktivitätsabhängige parakrine Faktoren ausschütten. Einer dieser Faktoren (COL1A2) wird beispielsweise von peripheren Nerven ausgeschüttet und verstärkt das Wachstum von Schwannzellen.  Hiermit konnte gezeigt werden, dass Neurofibrome abhängig von neuronaler Aktivität wachsen. Die vermehrte neuronale Aktivität retinaler Ganglienzellen führt zu einer vermehrten Midkine Ausschüttung, die wiederum wie oben hergeleitet zum Wachstum von OPG beiträgt. Als weiteren tumorfördernden Mechanismus in OPG wurde bereits zuvor gezeigt, dass auch die gesteigerte Aktivität retinaler Ganglienzellen durch Lichteinstrahlung ins Auge zum Tumorwachstum beiträgt – in diesem Fall vermittelt durch die Ausschüttung von soluble-Nlgn3. Zusammenfassend konnte die Gruppe hiermit mehrere Mechanismen aufdecken, die auf neuronaler Ebene zur Entstehung von Neurofibromen und OPGs in NF1 Patienten beitragen.

Thematisch passend berichtete Antonio Iavarone unter anderem, dass etwa die Hälfte der low-grade Gliome in NF1 Patienten eine erhöhte Infiltration durch T-Zellen sowie eine vermehrte Expression an Neoantigenen mit erhöhter HLA Bindung sowie einer verstärkten Immunsignatur durch verminderte DNA Methylierung von immun-relatierten Genen aufwiesen. Diese “high immune” low-grade Gliome haben somit ein großes Potential, auf Immuntherapien anzusprechen.

Zusammenfassend zeugen die zahlreichen hochkarätigen Vorträge von der hohen Forschungsaktivität auf dem Gebiet der Neurofibromatosen und Schwannomatosen. Durch die enge Verknüpfung von Grundlagenforschung und klinischer Studien wird die Translation der Ergebnisse in die Behandlung von Patienten gefördert und es werden zahlreiche vielversprechende Therapeutika bereits klinisch getestet oder befinden sich in der Vorbereitung dafür. Dennoch haben wir diese Erkrankungen leider noch lange nicht abschließend verstanden und geheilt, sodass auch künftige Forschung von größter Bedeutung für unsere Patienten ist.

Kongressbericht NF-Conference in Philadelphia (18. – 21. Juni 2022)