NF1

Allgemeines

Die Neurofibromatose Typ 1, auch Morbus Recklinghausen (benannt nach seinem Entdecker Friedrich Daniel von Recklinghausen) genannt, ist eine autosomal dominant und monogen vererbte Multiorganerkrankung, die überwiegend Haut und Nervensystem betrifft. Sie wird daher den neurokutanen Erkrankungen (Phakomatose) zugeordnet.

Die Neurofibromatose Typ 1 (NF1) wird verursacht durch Genveränderungen auf dem Chromosom 17. NF1 tritt mit einer Häufigkeit von 1:3.000 zu je etwa 50% familär bzw. sporadisch auf. Die hohe Rate der Neumutation wird damit erklärt, dass das NF-1-Gen sehr groß ist und somit viel Angriffsfläche für genetische Veränderungen bietet.

Symptome/medizinischer Nachweis

NF1 Patienten zeigen mindestens zwei der folgenden Merkmale:

  • Sechs oder mehr Café-au-lait-Flecken – milchkaffeefarbene Hautflecken, die bereits bei der Geburt vorliegen oder kurz danach auftreten.
  • Zwei oder mehr Neurofibrome, die sich auf, in oder unter der Haut und auch in jedem Körperteil bilden können.
  • Sommersprossenartige Pigementierung der Achselhöhlen und/oder der Leistengegend
  • Optikusgliom (Sehbahntumor)
  • Mindestens zwei Irishamartome (Pigmentanreicherungen auf der Regenbogenhaut des Auges, auch „Lisch-Knötchen“ genannt)
  • Typische Knochenveränderungen wie Keilbeindysplasie oder Verdünnung der langen Röhrenknochen mit oder ohne Pseudarthrose (Scheingelenk)
  • Ein Verwandter ersten Grades (Elternteil, Geschwister, Kind) erfüllt NF1 gemäß diesen Kriterien

Die genannten Merkmale entsprechen den NF1-Diagnosekriterien der National Institutes of Health (NIH). Darüber hinaus werden bei NF1-Betroffenen folgende Veränderungen relativ häufig angetroffen:

  • Wirbelsäulenverkrümmungen (Skoliosen)
  • Lern-, Leistungs- und Verhaltensstörungen

Cafe-au-lait-Flecken

Cafe-au-lait-Flecken sind bräunliche Pigmentflecken der Haut, welche flach und nicht erhaben sind. Sie können bereits bei der Geburt vorhanden sein, häufig treten sie jedoch in den ersten Lebensmonaten auf, um dann in Größe und Anzahl noch zuzunehmen. Das Symptom der Café-au-lait-Flecken entwickelt sich nahezu immer bis zum Schuleintritt. Ein Kind, das bis zum Alter von 5-6 Jahren keine Café-au-lait-Flecken aufweist, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von Neurofibromatose betroffen. Patienten empfinden die Café-au-lait-Flecken meist als ästhetische Störung, darüber hinaus sind sie aber harmlos. Die Intensität der Pigmentierung ist abhängig von der Sonnenexposition, d.h. Café-au-lait-Flecken erscheinen im Sommer oft dunkler als im Winter. Café-au-lait-Flecken sind meist am Körper (Stamm) und dem Extremitäten lokalisiert, jedoch nur ausnahmsweise im Gesicht.

10-20% der nicht von NF-Betroffenen Bevölkerung haben einen oder mehrere dieser homogenen Hyperpigmentierungen.

Neben NF1 treten gehäuft Café-au-lait Flecken bei folgenden neurokutanen Erkrankungen auf: Leschke-Syndrom, McCune-Albright-Sternberg-Syndrom und Noonan-Syndrom.

Neurofibrome

Kutane Fibrome

Die kutanen Neurofibrome entstehen in der Regel während der Pubertät und können im Erwachsenenalter noch an Zahl zunehmen. Es handelt sich um kleine, vorstehende, gutartige Hauttumore, welche störend empfunden werden können. Den einzelnen Neurofibromen kommt insofern kein Krankheitswert zu, als sie keinen Hautkrebs bedingen. Die Zahl der kutanen Neurofibrome ist selbst innerhalb derselben Familie sehr variabel und lässt sich nicht voraussagen. Es besteht kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Neurofibrome und allfälliger anderer Ausprägungen der NF1. Kutane Neurofibrome können während einer Schwangerschaft an Zahl zunehmen.

Plexiforme Neurofibrome

Plexiforme Neurofibrome sind meist bereits bei der Geburt oder kurz danach vorhanden. Es handelt sich meist um einzelne, weich anzufühlende und leicht hervorstehende Veränderungen. Die plexiformen Neurofibrome entstehen als im späteren Alter nicht mehr neu, sie könne aber im Laufe des Wachstums proportional zum übrigen Körper wachsen, seltener nehmen sie deutlich an Grösse zu. Ausnahmsweise können solche plexiformen Neurofibrome zu verstärktem Wachstum der darunterliegenden Knochen und zu vermehrter Pigmentierung und Behaarung der darüberliegenden Haut führen. Die plexiformen Tumoren sind nicht selten im Gesicht, im Nacken, an der Hüfte und am Unterschenkel lokalisiert. Sie erreichen teilweise eine enorme Größe. Plexiforme Neurofibrome treten bei etwa 30% der NF1 Betroffenen auf.

Freckling

Unter Freckling versteht man Pigmentveränderungen im Sinne von kleinsten Café-au-lait-Flecken. Das Aussehen erinnert an „Sommersprossen“. Frecklinge sind charakteristischerweise in der Achselhöhle und in der Leistengegend lokalisiert. Frecklinge kommen bei gesunden Personen nicht vor und sind auch bei NF1 nicht konstant vorhanden. Die Frecklinge treten in der Regel erst im Lauf des Schulalters auf. Die Frecklinge haben keinen Krankheitswert sind jedoch von diagnostischer Bedeutung. Auf Grund der aufgeführten Lokalisationen fällt es ästhetisch kaum ins Gewicht.

Optikusgliom (Sehbahntumor)

Sehbahntumore treten bei NF1 Betroffenen mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 15% auf. Die überwiegende Mehrzahl dieser histologisch immer gutartigen Tumoren wird „zufällig“ mit einer bildgebenden Untersuchung (MRI, CT) entdeckt und verursacht in der Regel keine Symptome. Eine Minderzahl dieser Veränderungen führt zur Verlust der Sehkraft, Schielen usw. Bemerkenswerterweise treten diese Sehbahntumore in den ersten wenigen Lebensjahren auf, eine Neuentstehung solcher Tumore nach der Pubertät ist nicht erwiesen.

Irisknötchen

Bei den sogenannten Irisknötchen (Lisch-Knötchen) handelt es sich um gutartige, „warzenförmige“ Erhebungen auf der Vorderseite der Regenbogenhaut des Auges (also um die Pupille herum angeordnet). Sie treten bei der Mehrzahl der NF1 Betroffenen im Schulalter auf, während sie bei Gesunden nicht vorkommen. Sie stellen somit ein wichtiges diagnostisches Kriterium dar, sind aber für die Betroffenen absolut belanglos und harmlos. Irisknötchen sind vom bloßem Auge nicht erkennbar. Sie müssen mit einer sogenannten Spaltlampe durch einen erfahrenen Augenarzt zuverlässig nachgewiesen werden.

 

Häufige Begleitsymptome

Neben den erläuterten diagnostischen Kriterien kommen bei NF1 zusätzliche Begleitsymptome gehäuft auf.

Besonderheiten der Entwicklung von Kindern

Auffälligkeiten der Entwicklung stellen anteilsmäßig die häufigste Komplikation dar. Sie betreffen nahezu die Hälfte der betroffenen Kinder. Kleinkinder mit NF1 sind gehäuft verlangsamt in ihrer motorischen, sprachlichen und emotionalen Entwicklung. Es ist wichtig, diese Abweichungen individuell zu prüfen, um allenfalls entsprechende Fördermaßnahmen einzuleiten. In der Schule werden gehäuft Teilleistungsschwächen (Lernstörungen z.B. sprachlicher Art) beobachtet. Ebenso treten gehäuft Schwierigkeiten der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung und der Konzentration auf. Auch in solchen Situationen ist eine sorgfältige individuelle Standortbestimmung wichtig, um Über- und Unterforderungs-Situationen zu vermeiden und nach Möglichkeit fördernde Strategien zu eruieren. Es ist wichtig, sekundäre Störungen (z.B. Ausgrenzung) zu vermeiden.

Körpergröße und Erscheinung

NF1 Betroffene sind im Vergleich zu Nichtbetroffenen statistisch kleiner, anderseits haben sie einen größeren Kopfumfang. Bei Kleinkindern ist im Rahmen der Muskelhypotonie (d.h. der verminderten Muskelanspannung) häufig der Bauch etwas vorgewölbt (sog. „Buddha-Bauch“).

Skoliose (Verkrümmung der Wirbelsäule)

Skoliose ist bei NF1 gehäuft (ca. 3%). Die Skoliose kann bis zum Abschluss des Wachstums zunehmen. Je nach individueller Situation und Ausprägung ist die Behandlung zu diskutieren.

Hypertonie (Bluthochdruck)

Bei NF1 Betroffenen scheint Hypertonie etwas gehäuft vorzukommen, weshalb regelmäßige Blutdruckmessungen notwendig sind. Die Hypertonie kann verschieden Ursachen haben, die je nach individueller Situation eine spezifische Abklärung erfordern.

Epilepsie

Epileptische Anfälle sind im Rahmen der NF1 selten. Sie sind im Vergleich zur übrigen Bevölkerung nicht gehäuft zu beobachten.

Hirntumore

Neben den erwähnten Sehbahntumoren kommen bei NF1 Betroffenen Tumore des Gehirns und des Rückenmarks statistisch etwas gehäuft vor. Sie betreffen lediglich eine Minorität. Sie sind meist gutartig.

Andere Tumore

Statistisch kommen bei NF1 Tumore leicht gehäuft vor, insbesondere solche von plexiformen Neurofibromen ausgehend. Neu auftretende Beschwerden bzw. Veränderungen erfordern eine medizinische Abklärung.

Klinik bei NF1 – Überblick

Organsystem Befund Häufigkeit
Haut Neurofibrome 60-90%
Café-au-lait-Flecken >80%
Freckling 80%
Plexiforme Neurofibrome 16-25%
Augen „Lisch-Knötchen“ >90%
Knochen Makrozephalie 20-50%
Skoliosen 5-10%
Tumore Optikusgliome 10-15%
Nervenscheidentumore 3-15%
Neurologie Lernbehinderungen 40-60%
Epileptische Anfälle, schwere geistige Behinderungen < 5%