Dieser Artikel wurde von Frau Prof. Dr. med. Anja Harder verfasst und uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Nothing is Forever e.V. unterstützt dieses Forschungsprojekt.
Leitung: Prof. Dr. med. Anja Harder
Die Arbeitsgruppe CURE NF besteht seit Juni 2021 unter der Leitung von Prof. Dr. Harder an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines personalisierten, kurativen Ansatzes für Patient:innen mit Neurofibromatose Typ 1 (NF1). Im Hallenser Projekt arbeiten Olha Storozhuk, Swanhild Lohse und Cora Stockert. Während Olha Storozhuk die wissenschaftlichen Ansätze koordiniert, setzt Dr. Lohse diese im Labor um. Cora Stockert unterstützt uns in der Bürokommunikation. In unserem Projekt sollen spezifische genetische Varianten (Mutationen) und verschiedene Transkriptvarianten des Neurofibromins charakterisiert werden, denn verschiedenartige Mutationen erfordern auch verschiedene Behandlungsstrategien, so dass der kurative Ansatz i. S. einer Gentherapie äußerst individuell ist. Wir gehen dabei wie folgt vor (Abbildung 1):

Abbildung 1: Vorgehensweise zur Etablierung eines möglichen individuellen Therapieansatzes (erstellt mit bioRENDER, Lizenz: DD24XC8ZVN).
- Entnahme von Blut des Patienten / der Patientin zur genetischen Analyse, zur Virusanalyse und zur Gewinnung von weißen Blutkörperchen, die später zu induzierten pluripotenten Stammzellen, sog. iPSC, um- bzw. reprogrammiert werden. Wir erfassen zusätzlich auch alle klinischen Parameter.
- Charakterisierung der vom Patienten / von der Patientin stammenden Zellen und Differenzierung der iPSC zu Neuralleistenzellen und Schwannzellen sowie zu weiteren Zellen, wie zum Beispiel Fibroblasten. Eine Differenzierung ist potenziell in alle Körperzellen möglich, allerdings eine Frage von Zeit und Geld. Hätten wir z. B. Schwannzellen und Fibroblasten aus demselben Probanden / derselben Probandin, könnten wir humane dreidimensionale Neurofibrom-Modelle etablieren, die äußerst spezifisch für ein Individuum wären und vielleicht Mausexperimente ersetzen könnten.
- Testung verschiedener therapeutischer Strategien mit neuen Komponenten (sog. Antisense-Oligonukleotiden) und mit einer Kombination bereits bekannter Medikamente. Auch die Prüfung verschiedener Verabreichungsmodi und Verpackungsmethoden für die Medikamente zum Einschleusen in die Zellen ist ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung einer wirksamen Behandlung.
Konkret stehen in unserer Arbeitsgruppe derzeit zwei verschiedene Punktmutationen der sog. „N-HEAT-DOMAIN“ von Neurofibromin (siehe Abbildung 2) im Fokus, die zu neuen kryptischen Spleißstellen (falschen, „verdeckten“ Schnittstellen) führen. Bei einer Substitution von G zu A im Exon 21 des NF1-Gens kommt es dadurch zu einem verkürzten RNA-Transkript und zum Fehlen von 48 Aminosäuren in einer wichtigen Region des Proteins. Bei einer anderen Mutation liegt eine Substitution von G zu A vor, und es werden 62 Nukleotide im Exon 13 überlesen, bis ein vorzeitiges Stopcodon auftritt, so dass das Protein zu kurz ist und nur noch aus 489 anstelle von 2818 Aminosäuren besteht. In beiden Fällen bedingen diese Veränderungen eine Störung der normalen Funktion von Neurofibromin in den Körperzellen. Eine kurative Strategie für diese Art von Mutation besteht nun darin, diese falsche Schnittstelle wieder zu „verstecken“, so dass ein normales Transkript gebildet werden kann. Dies ist mit sogenannten Antisense-Oligonukleotiden möglich. Dies erforschen wir derzeit in der Zellkultur. Eine Alternative wäre, einen Weg zu finden, wie man beispielsweise an der richtigen Stelle das G wieder zu A oder umgekehrt korrigiert. Weiterhin wäre es möglich, die Synthese aus der „gesunden“ Kopie des NF1-Gens anzuheben, damit diese Genkopie in der Zelle überwiegt.

Abbildung 2: Struktur des NF1-Genproduktes Neurofibromin (erstellt mit bioRENDER, vgl. Scheer et al., Int J Mol Sci. 2021, 23:352).
Humane iPSC stellen ein natürlicheres Zellmodell im Vergleich Modellen, die auf synthetisch in die DNA eingeführten Mutation basieren. Bei der Herstellung der iPSC arbeitet unsere Arbeitsgruppe eng mit Prof. Dr. Andreas Kurtz aus dem BIH (Berlin Institute of Health) der Charité in Berlin zusammen. Neben der Arbeit mit den Zellen zu konkreten Fragestellungen in unserem Labor, besteht prinzipiell die Möglichkeit, die gewonnenen iPSC in einer Biobank zu lagern. Sind solche Zellen hinterlegt, kann jede wissenschaftliche Gruppe weltweit, die an der Entwicklung einer Therapie für NF1 arbeitet, diese ebenfalls testen, wenn ein Antrag hierfür gestellt wird. Somit werden die Möglichkeiten für neue Therapien im humanen Modell erhöht und flexibler.
Im April 2022 wechselte Professorin Harder von Halle an das Institut für Neuropathologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Clemens Sommer, wo sie als stellvertretende Institutsdirektorin tätig ist. An der Universitätsmedizin Mainz hat sie den Aufbau eines neuen NF-Zentrums mit den klinischen Kolleg:innen angestoßen. Hierbei sollen Synergien entstehen, denn die Betreuung und Behandlung von Patient:innen mit NF in Mainz wird schon lange praktiziert. Es kommt jetzt darauf an, sichtbarer zu werden, die klinische und Grundlagenforschung zu stärken und die Versorgungsmodelle auszugestalten. Nicht zuletzt sind aus dem November-Meeting in Halle zahlreiche Ideen und Aktivitäten erwachsen.
Ein NF-Zentrum bietet insbesondere die Möglichkeit, klinische Betreuung und Forschung zu kombinieren, um z.B. eine individualisierte Therapie für viele Patient:innen zu entwickeln. Letztere könnte auf einem Abgleich der individuellen Daten der Patient:innen mit bestehenden ähnlichen genetischen und phänotypischen Fällen aus einer Datenbank basieren. Das Zentrum würde aber auch vor allem lokal die Betreuung von Patient:innen mit NF verbessern. Nicht zuletzt liegt unter der Leitung von Professsorin Harder ein besonderer Fokus auf der neuropathologischen Diagnostik und Aufarbeitung von Nervenscheidentumoren und anderen Neurofibromatose-assoziierten Tumoren Dies verfolgt sie bereits seit ihrer Zeit in der Berliner Neuropathologie unter der Leitung von Herrn Univ.-Prof. Dr. von Deimling.
Das Projekt CURE NF hat nun zwei Standbeine: Halle und Mainz, wo jeweils verschiedene Teile des Projektes bearbeitet werden. In Halle sind wir zum Beispiel verstärkt in der Zellkultur aktiv, in Mainz eher klinisch orientiert. Im Institut für Neuropathologie in Mainz konnten wir mit unserem Doktoranden, Daniel Tippner, bereits mit der Etablierung einer Analyse der räumlichen, NF1-abhängigen Genexpression am histologischen Material beginnen, wobei wir eng mit anderen Abteilungen, wie der Humangenetik und dem Zentrum für Immunologie und dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Potsdam zusammenarbeiten.

Abbildung 3: Für das S100-Protein (grün) markierte Schwannzellen in der Zellkultur.
Im Rahmen unserer NF1-Forschung arbeiten wir aber nicht nur am oben genannten Projekt, sondern auch weiteren spannenden Fragestellungen, wie z. B. der gestörten zirkadianen Rhythmik bei NF1 (siehe Abbildung 3), wobei wir diese insbesondere in Schwannzellen erfassen. Hier erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit Dr. Sandra Leisz aus der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Halle sowie mit Herrn Prof. Dr. Erik Maronde der Dr. Senckenbergischen Anatomie der Goethe-Universität Frankfurt und weiteren Kollegen.
Wir würden uns freuen, wenn wir das Interesse an unseren Forschungsansätzen geweckt haben und stehen für Rückfragen zur Verfügung.
Kontakt:
Prof. Dr. med. Anja Harder
UNIVERSITÄTSMEDIZIN der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Institut für Neuropathologie
Langenbeckstr. 1, 55131 Mainz
Tel.: ++49 6131 17 6718, Fax: ++49 6131 17 6606
Email: anja.harder@unimedizin-mainz.de
CURE NF Research Group an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
im Institut für Anatomie und Zellbiologie, Raum 10
Große Steinstraße 52, 06108 Halle (Saale)
Büro: ++49 345 557 1744, Fax: ++49 345 557 4076
Mobil: +49 15140236329
https://www.medizin.uni-halle.de/en/einrichtungen/sonstige-einrichtungen/cure-nf-research-group