Forschungsprojekt
Dr. Lan Kluwe
Prof. Dr. Christian Hagel
Prof. Dr. Victor Felix Mautner

Klinik und Poliklinik für Neurologie (LK, VM)
Institut für Neuropathologie (CH)
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistr. 52, 20246 Hamburg
International Center for Neurofibromatosis
(Anerkennung als nationales Referenzzentrum)

Fördersumme: ~ 25.000 Euro

»Identifikation von entartungsrelevanten genetischen Änderungen in atypischen plexiformen Neurofibromen«

Hintergrund

Der Hauptfaktor für die verkürzte Lebenserwartung von NF1 Patienten ist das erhöhte Risiko für die Entstehung von malignen peripheren Nerverscheidentumoren (MPNST = malignant peripheral nerve sheath tumors). Das lebenslange Risiko bei NF1 Patienten beträgt 9-13%, (Evans et al., 2012) und ist ca. 2000-fach höher als in der Allgemeinbevölkerung. MPNSTs sind hochaggressive Sarkome mit sehr schlechter Prognose. Therapieoptionen sind limitiert (Hagel et al., 2007). Die einzig effektive Behandlungsstrategie ist bislang eine vollständige Resektion des Sarkoms. Dafür ist die frühzeitige Erkennung und eine vollständige operative Entfernung des MPNST essentiell.

Es ist bekannt, dass sich bei NF1 Patienten MPNST typischerweise aus einem vorbestehenden plexiformen Neurofibrom (PNF) entwickeln. PNFs sind gutartige Tumoren, die bei bis zu 50% von NF1 Patienten auftreten (Mautner et al., 2011). Die große Zahl von Tumorzellen bedingt das Risiko weiterer genetischer Änderungen, die zur Entartung disponieren. Die Entartung ist ein Transitionsprozess, der schrittweise erfolgt. Dieser ist in einigen PNF im Sinne erhöhter Kontrastmittelanreicherungen und Inhomogenitäten in der MRT-Bilddarstellung nachzuweisen. Insbesondere grenzwertige SUV (Standard Uptake Values) in der PET CT-Untersuchung ( 5,0) weisen auf einen möglichen atypischen Tumor oder eine MPNST-Entstehung hin (Brenner et al., 2011). Die Biopsie solcher auffälligen Bereiche kann eine erhöhte Zelldichte, vermehrte Kernatypien, Kernteilungsfiguren und ein ausgeprägtes faszikuläres Wachstum widerspiegeln. Von einigen Forschern und Ärzten werden solche atypischen PNFs als Vorstufen des Entartungsprozesses angesehen, die sich später zu MPNST entwickeln können (Beert et al., 2011).
Die in diesem Prozess auftretenden genetischen Änderungen sind essentiell für die Erkennung und das Verständnis des Entartungsprozesses. Entsprechende Daten tragen zum Verständnis der Biologie und Pathogenese der MPNST-Entstehung bei. Die Identifikation von entartungsrelevanten genetischen Änderungen könnten molekulare Zielstrukturen (Targets) für neue Therapien bedeuten.

Gene, die in MPNST genetische Änderungen tragen, sind in einer Vielzahl von Studien berichtet worden (Pemov et al., 2019). Dabei ist die genaue Abfolge der Änderung der betroffenen Gene noch nicht klar.

Ziel der Studie
– MPNST-relevante genetische Änderungen in atypischen plexiformen Neurofibromen zu untersuchen.
– Häufigkeit von MPNST-relevanten genetischen Änderungen in plexiformen Neurofibromen zu prüfen

Update Oktober 2022

Der Bericht wurde uns freundlicherweise durch Frau Dr. Kesbach zur Verfügung gestellt.

Mehr als jeder zweite NF1 Patient entwickelt Neurofibrome – viele Patienten entwickeln sogar eine sehr hohe Tumorlast. Die zahlreichen Tumoren sind dann zwar zunächst biologisch gutartige Tumoren, das heißt sie wachsen verhältnismäßig langsam und metastasieren nicht, können allerdings zu erheblichen funktionellen Einschränkungen führen, Schmerzen verursachen und durch Wachstum beispielsweise im Gesicht zu psychischer Belastung führen. Darüber hinaus ist mittlerweile bekannt, dass sich Neurofibrome zu sogenannten “atypischen Neurofibromen” (ANF) oder “ANNUBPs” (atypical neurofibromatous lesions of unknown biological potential) entwickeln können. Diese atypischen Neurofibrome wiederum können zu hochmalignen MPNST (Maligne Periphere Nervenscheidentumoren) fortschreiten. MPNSTs haben eine sehr schlechte Prognose, metastasieren früh und werden als unheilbar angesehen, sofern sie nicht vollständig reseziert werden können. Aus diesem Grund ist es von größter Bedeutung, die prämalignen ANF sicher identifizieren zu können. Leider gibt es jedoch bis heute keine eindeutigen Biomarker, anhand derer man ANF sicher identifizieren könnte und Ihr Risiko für eine weitere maligne Entartung voraussagen könnte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2021 Kriterien definiert, anhand derer man ANF histologisch – also in der Beurteilung des Tumorgewebes unter dem Mikroskop – identifizieren kann. Allerdings sind diese Kriterien recht weit gefasst und in der Praxis sehr abhängig vom beurteilenden Neuropathologen. Selbst Experten auf dem Gebiet der peripheren Nervenscheidentumoren sind sich darum oft uneins, wie diese Kriterien anzuwenden sind. Zudem ist weiterhin unklar, wie gut diese Kriterien mit dem biologischen Verhalten der Tumoren im Patienten korrelieren. Da die Identifizierung von ANF so schwierig ist, war es bislang auch kaum möglich, die biologischen Charakteristika dieser Tumoren einheitlich zu erfassen und zu verstehen.

Aus diesem Grund untersuchen wir, ob die Analyse von epigenetischen Profilen – Veränderungen der Oberfläche von DNA – als Biomarker verwendet werden könnte. Da jedes Gewebe ein sehr spezifisches epigenetisches Profil hat, kann man bei Tumoren – ähnlich wie bei einem Fingerabdruck – dieses Profil bestimmen und Rückschlüsse auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Tumorgruppe (zum Beispiel MPNST, Neurofibrome etc.) ziehen. Diese Methode ist bereits für zahlreiche Hirntumoren und auch für einige periphere Nervenscheidentumoren etabliert, wurde bislang jedoch noch nicht für ANF untersucht. Mit einer vergleichsweise großen Kohorte von 42 ANF Proben konnten wir tatsächlich sehen, dass die Methode sehr vielversprechend ist. ANF haben sich im Großteil der Fälle (38/42 Tumoren) zu den gutartigen Entitäten an Peripheren Nervenscheidentumoren gruppiert. Dies korreliert gut mit den klinischen Daten der Patienten aus unserer Kohorte, die dafür sprechen, dass diese Tumoren sehr selten maligne entarten. Hier haben sie sich entweder den histologisch blanden Neurofibrome zugeordnet oder zu einer komplett eigenen Gruppe, in der sich nur ANF zusammengruppierten. Diese eigene ANF Gruppe scheint in unseren Augen die „wahren“ ANF darzustellen, während die Tumoren, die sich zu den blanden Neurofibromen gruppieren, möglicherweise histologisch überdiagnostiziert wurden. Gleichzeitig konnten wir 4 Tumoren identifizieren, die histologisch als ANF eingeschätzt wurden, aber in ihrem Methylierungsprofil ganz eindeutig den MPNST zuzuordnen waren. Diese Tumoren wurden also möglicherweise histologisch unterschätzt, und die entsprechenden Patienten hätten vermutlich von einer Nachresektion und engeren klinischen Überwachung profitiert. Leider haben wir hier nur von einem der 4 Patienten ein langjähriges Follow up. Dieser Patient hat aber tatsächlich ein Jahr später ein MPNST an der gleichen Lokalisation entwickelt wie der für unsere Analyse untersuchte Tumor. Dies spricht deutlich dafür, dass hier die epigenetische Analyse in der Lage war, das maligne Potential des Tumors zu erkennen, während er histologisch als niedrigmaligne Form definiert wurde. Unser Projekt stieß in der NF Community auf großes Interesse, wurde auf einer Konferenz der Childrens Tumor Foundation in Philadelphia dieses Jahr mit einem Posterpreis ausgezeichnet und ist nun als Manuskript zu Publikation eingereicht. In der Zukunft möchten wir die Kohorte an ANF noch deutlich vergrößern, um klinisch noch aussagekräftigere Schlüsse zu erlauben und die Methylierungsanalyse als sicheres diagnostisches Instrument zu etablieren. Zusätzlich möchten wir den Fokus auf die Heterogenität von Tumoren legen, die Anteile sowohl des initialen Neurofibroms als auch eines darauf entstandenen ANF und MPNST beinhalten, um die Mechanismen, die zu dieser malignen Entartung geführt haben besser zu verstehen.

Hier noch der Poster zum Projekt: